Eizellspende

Meine eigenen Eizellen waren mit 28 Jahren plötzlich aufgebraucht. Ich bin die einzige in meiner Familie, die an vorzeitigen Wechseljahren leidet. Bisher ist völlig unklar, wie es dazu kommen konnte. Eine Ärztin hat mich zu Recherchezwecken an die Humangenetik geschickt, doch ich bin nicht hingegangen. Mein Gefühl war: Du hast jetzt keine Zeit, deine Wunden zu lecken und dich mit dem Wieso, Weshalb, Warum herumzuplagen. Sieh lieber zu, dass du zu Potte kommst! Der einzige Pott, der mir eine Schwangerschaft bescheren konnte, war die Eizelle einer anonymen polnischen Frau.

Eizellspende. Dieses Wort ist trügerisch, denn natürlich bezahlst du für diese Eizelle. Ich habe letztendlich den Preis eines Mittelklassewagens bezahlt, weil ich es vier Mal versuchen musste. Wo Geld im Spiel ist, tritt meist auch gleich das schlechte Gewissen mit zur Tür herein. Guten Tag, mein Name ist schlechtes Gewissen und ich möchte gern wissen, weshalb Sie mit ihren stinkenden Dukaten die frischen Eizellen armer Osteuropäerinnen kaufen, die sich aus lauter Not zwangsstimulieren lassen und durch die Behandlungen ihre eigene Fruchtbarkeit aufs Spiel setzen? Ich habe lange recherchiert, bis ich sicher war, eine vertrauenswürdige Klinik gefunden zu haben, in der sich die Spenderinnen freiwillig melden, fair beraten werden und das Kapitel ohne gesundheitliche Schäden abschließen. Es ist ein Geschäft, aber es sollte wenigstens ein sauberes Geschäft sein. Diese Klinik befindet sich in Warschau.

Manche Freunde argumentierten, ich sei nicht dazu bestimmt, eigene Kinder auszutragen und solle mein Schicksal anerkennen. Fremde Eizellen seien unnatürlich und unethisch, hätten vor allem Nachteile für das Kind, das niemals seine Herkunft kennenlernen wird. Anstatt mich solchem Science Fiction zu widmen, solle ich besser eine Psychotherapie machen, um mit der Unfruchtbarkeit fertig zu werden.

Ich bin froh, im 21. Jahrhundert zu leben, das diese Möglichkeiten hervorgebracht hat. Erdacht von klugen Menschen, die die Evolution dazu in die Lage versetzte. Wenn dieses Menschenwerk unnatürlich sein soll, ist auch eine Satellitenschüssel unnatürlich, weil über alle Maßen fortschrittlich. Evolution ist nichts anderes als Fortbildung und Entwicklung.

Der Gedanke, der mir jedoch wirklich Kopfzerbrechen bereitete, war das Recht eines Kindes, seine Eltern zu kennen. Wie sollten wir diesen Knoten später entwirren? Mehrfach mussten wir unterschreiben, dass alle Daten 100%ig anonym bleiben würden.

Damit sich eine fremde Eizelle in meiner Gebärmutter einnistet, muss ich meinen Körper mit Hormonen austricksen, damit er meint, diese befruchtete Eizelle sei seine eigene. „Hormone“ sind Tabletten, aber auch Spritzen, die ich mir morgens und abends in die Bauchfalte pikse. Es gibt Vaginalzäpfchen, die sich in der Scheide auflösen und einen weißen Schleim hinterlassen. Diese Hormone blähen innerlich auf. Meine Brüste wurden prall wie zwei Wasserbomben, aber auch genauso empfindlich. So verhielt es sich auch mit meinen Launen. Plötzlich musste ich weinen, weil ich mich stundenlang in die Lage von Bootsflüchtlingen hineingefühlt hatte. Oder weil Otto einfach nicht verstand, dass ich hochsensibel war und viel mehr fühlte als er. Oder einfach, weil er den Mozzarella gegessen hatte, obwohl ich den doch für mich gekauft und so sehr darauf gefreut habe. So sehr! Wie kann er bloß so rücksichtslos und egoistisch sein…!

In der Aufbauzeit vor dem Transfer muss mehrmals wöchentlich die Dicke der Gebärmutterschleimhaut gemessen werden. Da ich nicht ständig nach Warschau reisen kann, habe ich eine Kinderwunschpraxis an meinem Wohnort gesucht, die mit der Warschauer Klinik kooperiert, obwohl die Eizellspende in Deutschland verboten ist. Dort hat man mit Ultraschall die perfekte Dicke ermittelt, die nötig war, um es der fremden Eizelle kuschlig zu machen.

Während ich in Deutschland Hormone spritzte, um eine gemütliche Gebärmutterschleimhaut aufzubauen, wurde in Polen eine fremde Eizelle mit Ottos Sperma befruchtet. Der erste Versuch startete mit frischem Otto-Sperma, die drei folgenden mit eingefrorenem. Die Warschauer befruchteten mehrere Eizellen gleichzeitig und wählten die bestentwickelten aus. Am vierten Tag nach der Befruchtung entscheidet sich, welche Zellen in die Top Two kommen.

Otto und ich haben nach dem ersten Versuch mit bloß einer befruchteten Eizelle überlegt, dass wir fortan zwei einpflanzen möchten, um die Chancen zu verdoppeln, dass wenigstens eine andockt und bleibt. Dadurch erhöht sich die „Gefahr“ einer Zwillingsschwangerschaft, weil ja schließlich auch beide bleiben könnten. Eine Schwangerschaft mit zwei Kindern wäre gefährlich für mich, da ich dünn und schmal gebaut bin und es zu verschiedenen Risiken kommen könnte. Wir haben uns dennoch für die 50% höhere Chance entschieden und die abstrakten Risiken einfach ausgeblendet.

Bis auf das erste Mal bin ich jedes Mal schwanger geworden. Was für ein Gefühl, wenn tatsächlich der zweite Streifen auf dem Schwangerschaftstest auftaucht!  Ein blauer Streifen, erst so transparent, dass du an eine Fata Morgana glaubst, aber bald so blau und intensiv wie Kornblumen oder Tinte.

Unfruchtbar

Im Bauch wird es ganz plötzlich warm, dann heiß, dann brutal heiß. Die Hitze steigt nach oben, das Herz beschleunigt, Schweiß bricht aus und du läufst rot an, ringst nach Luft, ziehst hektisch deinen Pullover aus oder gehst auf den Balkon, um die frische Luft zu spüren. Es ist okay, wenn du allein bist, aber peinlich, wenn nicht. Du kannst nichts tun als es auszuhalten und abzuwarten. Nach zwei Minuten ist der Spuk vorbei. Deine schweißverklebten Haare bindest du nach hinten, tupfst die Stirn ab, ziehst den Pullover wieder an. So etwas nennt sich Hitzewallung und tritt in den Wechseljahren auf. Ist eine vorüber, fürchtest du dich schon vor der nächsten.

Meine Wechseljahre begannen, als ich 28 Jahre alt wurde. Auf dem Kopfkissen fand ich plötzlich sehr viele meiner Haare. Nachts konnte ich nicht schlafen, war hellwach und grübelte mit klopfendem Herzen. Wenn ich mal einschlief, wachte ich bald davon auf, dass ich nass geschwitzt war. Das Laken war feucht und klamm. Meine Menstruation setzte aus. Ich war müder als sonst, äußerlich und innerlich abgekämpfter, aber auch empfindlicher. Anfangs beruhigte ich mich mit allgemein gehaltenen Erklärungen und ignorierte die Symptome. Ich schob es darauf, dass ich durch den Stress auf Arbeit abgenommen hatte. Eigentlich wollte ich schwanger werden, hatte die Pille abgesetzt – vielleicht lag es daran?

Bis ich schließlich meine endgültige Diagnose begriff, vergingen mehrere Jahre. Nach zahlreichen Tests war es klar: vorzeitige Wechseljahre. Es gibt sogar einen lateinischen Namen dafür: Klimakterium praecox. Ich brauchte ewig um überhaupt zu verstehen, was das bedeutet. Gegen die Hitzewallungen bekam ich Medikamente, die mir schnell halfen, sodass diese merkwürdige Krankheit im Alltag in den Hintergrund trat. Langsam realisierte ich jedoch, dass ich keine Kinder mehr bekommen konnte. Meine Eizellen waren aufgebraucht, es gab nichts mehr zu befruchten. Ich war ausgetrocknet.

 Leer. Trocken und öde wie Brachland. Alt und häßlich. Allein und einsam.

Ich weinte eine ganze Woche durch, nachts und tagsüber. Immer wenn ich mich beruhigt hatte, fiel mir wieder ein, dass ich allein sterben würde und all meine Liebe, meine Ideen, meine Kraft niemanden hatten, dem sie sich widmen konnten. Für mich brach eine Welt zusammen, weil ich mir ein Leben ohne Kinder nicht vorstellen wollte. Was sollte ich überhaupt mit meinem restlichen Leben anstellen? Wohin führte die Beziehung mit Otto, der sich eine Familie wünschte? Wie viel Frau steckte noch in mir? All diese Fragen ploppten auf und ich fand keine Antwort, bloß schreckliche Angst vor einem langen unfruchtbaren Leben.

Ich erinnere mich an diese Tage als eine Zeit tiefer Verzweiflung. Ich gab Otto frei. Er sollte eine neue, fruchtbare Partnerin suchen, um mit mir nicht unglücklich zu werden. Der Druck war immens, ich wollte allein sein. Doch Otto ließ sich nicht abwimmeln, brachte mir Brote ans Bett und einen Hundewelpen, den wir Fine nannten. Ich fühlte mich, als sei mein Leben beendet, als läge vor mir ein ewiges Jammertal. Irgendwann war ich vom Weinen und Schlafen erschöpft und angewidert. Zwar trat ich vor die Tür, ging zum Job, traf Freunde im Kino, aber es brauchte drei Jahre, bis der bloße Gedanke an meinen unerfüllten Kinderwunsch mir keine spontanen Tränen mehr in die Augen trieb und mich als Nervenbündel zurückließ. Was trotzdem immer blieb, ist der leise Schmerz.

Es genügt schon, dass du einen verlorenen Kinderhandschuh findest. Oder das Auto vor dir einen Aufkleber spazieren fährt: Opa und Oma 2014. In der Eisdiele siehst du, wie ein Dreijähriger sein Eis alleine zahlt und die Erwachsenen um ihn herum milde lächeln. Diese Neugier aufs Leben, diese Unschuld. Wenn deine Freundinnen schwanger werden, entbinden und als Mütter in Elternzeit gehen. Als meine jüngere Schwester anrief, um mir ihre Schwangerschaft mitzuteilen, konnte ich nicht anders als hemmungslos heulen.

Noch viel schlimmer sind die übergriffigen Fragesteller: Wann ist es denn bei Ihnen soweit? Wünschen Sie sich denn keine Kinder? Als sei es ein Diktat, Kinder in die Gesellschaft zu setzen, dem ich mich widerrechtlich entziehe, ich böse Karrierefrau. Am allerschlimmsten sind diejenigen, die es gut meinen, denen man aber am liebsten ins Gesicht hauen würde: Wenn du es am wenigsten erwartest, wird es klappen. Du musst dich nur entspannen und Vertrauen haben. Vertrauen in wen oder was? Noch schlimmer ist jedoch das Schweigen derjenigen, die Bescheid wissen und vorsichtig jedes Thema umschiffen, das mit Kindern zu tun haben könnte. Diese Kommunikationslöcher werden viel präsenter dadurch, dass sie nicht erwähnt werden. Das Offensichtliche hängt dir vorm Gesicht, schweigt sich in jedes Treffen mit Freunden hinein, bläht sich auf. Und platzt nicht, sondern wird immer größer und unheilvoller.